3. Unendlicher Zusammenhang


JR: Daß diese beiden Sachen irgendwie zwingend zusammenhängen, über die wir geredet haben – das Alltagsleben und das große historische Weltgebäude –, ist eine Annahme, eine Hoffnung oder was auch immer – ohne diese Prämisse würde, wenn ich das richtig sehe, alles auseinanderfallen, was du seit fünfzehn Jahren geschrieben hast.

DD: Tja, stimmt. Da bin ich Engländer und Amerikaner. Die englische Romantik, also deren linker Flügel vor allem, Shelley, Byron, Keats, die haben alle so gedacht: Unser extremer literarischer Subjektivismus ist nur deshalb gerechtfertigt, weil unsere Subjektivität exemplarisch ist – wir sind besondere Beispiele für etwas allgemein Modernes, wir sind das Abstrakte, vermittelt durch unser Konkretes – und genau so haben dann auch Eliot oder Pound in ihren Gedichten, im „Waste Land“, in den „Cantos“, das Alltagszeug, das Selbsterlebte, zu irgendwelchem großen Gesamtabläufen in Beziehung gesetzt. William Empson, mein Lieblingsdichter, pflegte sogar den Verdacht, daß dieses ganze Verfahren etwas mit dem wissenschaftlichen Denken des modernen Menschen zu tun hat: Man nimmt sich selbst als Experiment und formuliert dann vorläufige Hypothesen, um den Zusammenhang zwischen dem Experiment und den gültigen Bewegungsgesetzen der (Natur- und Sozial-) Geschichte herzustellen.
Ach so, und Joyce natürlich, in extremer Zuspitzung, im „Ulysses“: ein einziger Dubliner Tag ist die Linse für mythische Riesenvorgänge, und noch extremer bei „Finnegans Wake“, wo im supersubjektiven Traumlallen gleich die allerobjektivste Totalität von allem, was Menschen überhaupt (qua Sprache) an möglichen Erfahrungen zugänglich ist, geborgen sein soll. Aber Ähnliches findest Du bei den Angelsachsen seit 1900 quer durch alle Schulen, individualistischen Schrullen oder Karrieremodelle hindurch, bei Thomas Wolfe – „Schau heimwärts, Engel“ – wie bei Tom Wolfe – „Fegefeuer der Eitelkeiten“ –, bei faszinierenden Superspießern wie Wallace Stevens ebenso wie bei den Beat Poets, bei Norman Mailer, selbst bei den größten amerikanischen Langweilern von heute.

JR: Die Hochmoderne, die du meinst, wenn du „Moderne“ sagst, ist also eine angelsächsische Erfindung.

DD: Naja, die literarische schon. Wenn wir die Welt unbedingt nach Sprachräumen aufteilen wollen: Die Hochmoderne der bildenden Kunst ist eine Franco-Mediterrane Erfindung, die der Wissenschaft und Philosophie eine deutsche …

JR: Und die der Politik eine russische.

DD: Ach, Johanna, sag doch nicht immer alles so unverblümt.


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4. Wissenschaft und Poetik


Aus dem Sechsten Kapitel gefallen

Aus dem Siebten Kapitel gefallen

Aus dem Zwanzigsten und dem Zweiundzwanzigsten Kapitel gefallen

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